Ich will Blumen verkaufen. Oder so.

Obwohl ich eigentlich involviert, aber nicht verantwortlich bin, bezeichne ich mich mal als Zuschauer.

Patient wird aus der REHA entlassen. Er ist 84 Jahre alt und war zu Hause gestürzt, vor zwei Monaten. Nachdem er endlich gefunden wird, kommt er ins Krankenhaus. Dort stürzt er noch einmal und holt sich einen Oberschenkelhalsbruch.

Außerdem verliert er (dort?) sein Hörgerät und die obere Zahnprothese.

Während seiner Abwesenheit kommt seine Lebensgefährtin, um die er sich vorher gekümmert hat, ins Heim.

Heute kommt er aus der REHA zurück. Die Hauskrankenpflege, die vorher die Frau mit-pflegte, wollen ihn unbedingt zu Hause behalten und dort pflegen. Weil: sie haben ihre Station einen Eingang weiter (ohne viel Fahrwege verdientes Geld).

Sein Zuhause:

Eine verwahrloste Wohnung mit einem immer noch defekten Fenster (durch das damals die Feuerwehr durchgestiegen war). Sein Bett: so ein aus der Schrankwand rausklappbares Doppelbett. Alles in die Jahre gekommen, durch die Hinfälligkeit der Frau schon lange in Mitleidenschaft gezogen. Veraltet, Teppichstolperfallen, Schwellen, Stufen…

Der Mann kann nicht alleine aufstehen, nicht auf die Toilette gehen, natürlich nichts einkaufen, sich nichts zu essen selbst machen, sich nicht waschen. Er braucht immer Hilfe. Nichts ist behindertengerecht, nirgends Haltegriffe, niemand da, wenn er ruft.

Er ist inzwischen völlig durchgeknallt, eine Gnade.

Leider hat er Geld. Denn die Hauskrankenpflege will das alles ja nicht umsonst machen. Er hat immer gespart, ist ärmlich eingerichtet. Und so also soll er nun seinen Lebensabend fristen. In dieser Umgebung, wo sich niemand verantwortlich sieht, heraushängende Schranktüren wieder zu befestigen oder Kleidung, die nie wieder jemand tragen wird, zu entsorgen, um etwas Platz zu schaffen. Oder ein gescheites Bett zu beschaffen.  Von den „Gardinen“ will ich gar nicht sprechen …. und die Fenster…

Ich komme ja auch viel in Altenpflegeheimen rum. Da gibt es natürlich auch gute und schlechte. Aber schlechter als dort, überwiegend allein, dann noch so verwirrt und in solch ungemütlicher Umgebung, immer drauf angewiesen, dass irgendjemand wiederkommt, etwas zu essen mitbringt und sich kümmert…. nein… nicht schön….

Und das alles unter dem Deckmäntelchen „er möchte doch zu Hause bleiben“. Ich sag mal: „Und ihr wollt seine Kohle.“ Schämt euch, wenn nicht ihr organisiert, was für ihn am besten ist, wer soll es denn sonst tun? Warum darf er nicht in das Heim, wo nun seine Lebensgefährtin schon ist? Warum hilft ihm denn keiner?

Ich bin traurig. mikiganztraurig

PS: Ich bin ja nur die Fachfrau am Rande, warte mit der Chefin der Pflegestation auf den Doktor. Als der kommt, will der Patient gleich was erzählen. Haste gedacht! Dem wird erstmal der Mund verboten. Man müsse sich unterhalten! Aber wegen diesem Hausbesuch hockt er die ganze Zeit halb ausgezogen (es gibt Wunden anzugucken, deshalb bin ich auch dort) auf dem Bett, obwohl man sieht, dass es ihm schwer fällt, dass er gleich umkippt und dass er Schmerzen hat. Aber wen interessiert das schon. Erst muss die Chipkarte hergezeigt werden…und so.

Ich will nicht mehr. Will was schönes verkaufen. Blumen! Ja! mikitraurigblümchen

 

    • AndiBerlin sagt:

      Ich wünschte ich hätte das jetzt nicht gelesen. Fällt mir schwer jetzt an was anderes zu denken. Will mich alt werden, und hoffe auf die Gnade eines Todes bevor es so schlimm wird.

    • Lucie sagt:

      Puh Miki, das ist harter Tobak! Aber leider wohl auch fast schon „normal“! Ich habe knapp 2 Jahre bei einem Pflegedienst gearbeitet … furchtbar!!!
      Alte Menschen sind nach wie vor Menschen zweiter Klasse, das ist so gemein und ich hätte da auch keinen Vorschlag etwas zu ändern.

      Wenn ich das so lese … will ich nicht alt und gebrechlich werden … dann lieber … aber ob ich dann dazu in der Lage bin?!!!

      Verstehe es, dass du lieber Blumen verkaufen möchtest!

      Liebe Grüße von mir :-)

    • Der Applejünger sagt:

      Mein Gott, ist das traurig. Und leider kein Einzelfall.
      Wie gut eine Gesellschaft ist, kann man daran erkennen, wie sie mit ihren alten Menschen umgeht.
      Was also, sagt deine Geschichte über uns aus…???
      Traurig… :eyes:

    • Clara Himmelhoch sagt:

      Die beiden Heime, die ich durch meine Mutter kennen gelernt habe, waren beide so, dass ich mir vorstellen könnte, besser dort als unter solch unwürdigen Verhältnissen zu Haus zu leben. – Meine Rente würde zwar nie reichen, aber da zahlt ja die Pflegekasse zu – bis jetzt jedenfalls. Allerdings bräuchte ich eine Pflegestufe, die ist wohl der absolute Knackpunkt, ohne die geht nichts. Aber vielleicht geht dabei mit etwas Schauspieltalent auch was.
      Alt zu werden ist keine Gnade, sondern eine Prüfung.

    • Gucky sagt:

      Unter den Umständen die du beschreibst ist er verloren und wird wohl nicht mehr lange leben… :shock:
      Ist denn da niemand für zuständig ?
      Es gibt doch tausende Ämter und Dienste. Man muss nur raus finden, wer da zuständig ist und helfen kann !
      Wenn Möbel bei alten Leuten alt sind ist das ist nicht soooo schlimm. Aber sie müssen in Ordnung und sauber sein.
      Hat er keine Angehörigen die sich darum kümmern können ? Also dass er zumindest in eine Pflegeeinrichtung kommen kann ?

    • Miki sagt:

      @Andi
      @Lucie
      Also nur verdrängen und obskure Selbstmordtheorien …. das hilft nicht. Jetzt schon drüber nachdenken, vorsorgen (schriftlich festhalten), was in einem solchen Fall passieren soll. Nun haben die meisten Menschen ja Angehörige, die sich kümmern können und es auch tun… aber eben nicht alle…

      @AJ
      Aber die Gesellschaft an sich…wie soll sie dafür aufkommen? Und selbst wenn es Kinder gibt, die müssen ja auch bis fast 70 arbeiten rennen…und in diese Zeit fällt ja oft die Lebensendzeit der Eltern…
      Besonders schlimm finde ich, dass die Institutionen, die damit ihr Geld verdienen (und es auch schwer haben, ja!) noch miteinander konkurieren und das Wohl des Betroffenen keine große Rolle mehr spielt. Ist eben wie immer, der Verkäufer versucht ja auch, die teuerste Waschmaschine, das größte Auto zu verkaufen… ob es dann das beste Produkt für den Kunde ist…ist ihm doch egal!

      @Clara
      Also es gibt auch schlimme Heime. Da kommst du rein…und es riecht nach Tierpark. Aber fast alles, was ich so kenne, wären für diesen Mann besser, weil er Menschen um sich rum hätte, es warm hätte und wohl auch sein Essen bekommen würde…. ich sehe auch einen Unterschied, ob jemand 60 Jahre in einem Haus gelebt hat und dort auch lieber sterben will (auch wenn es nicht komfortabel usw. ist, ist eben das Zuhause) oder ob man in einer Mietwohnung wohnt, in die man erst (bei Zusammenzug mit LG) vor ein paar Jahren eingezogen ist. Und nie wirklich „Heimat“ war. (So ist das bei o.g. Mann). Er könnte es besser haben.

      @Gucky
      Ich kann mich da sowieso nicht einmischen, höchstens bei drastischen Pflegefehlern oder so…die zu belegen wären.
      Er hat einen Betreuer (der sich natürlich gestern nicht blicken ließ), die LG hat eine andere Betreuung. Ist kein altgedientes Paar (ja auch die Alten suchen noch mal.. und finden..), da werden die Interessen auseinander gehen.Ist auch IHRE Mietwohnung, da ist vieles ungeklärt. Kinder hat er nicht. Und so hat er keinen Fürsprecher, auch ich weiß ja nicht, was er wirklich will. Gestern wollte er nur endlich liegen und seine Ruhe haben. Ganz spitzes, kleines Gesicht, graue Haut und sicher noch keinen Schluck zu trinken gehabt, durfte ja auf dem Bett sitzen, Maul halten und warten (war auch nichts zum Essen/Trinken im Haus, HKpf wollte noch einkaufen) das Entlassungsmanagement war also auch unter aller Sau…
      Ach ja, als erstes hat der Doc die BTM’s abgesetzt (Schmerztherapie)…“er hat ja keine Schmerzen“
      1.) bekommt man vom Patient keine klare Antwort
      2.) hatte er die laufende Therapie intus..und sie sollte dann auch wirken!!
      (Info: BTM’s sind etwas umständlich zu verordnen und belasten das Budget) alles klar?

    • Fulanos Worte sagt:

      Traurig, traurig.
      Finde es auch extrem hart, in so einem Bereich zu arbeiten.
      Mir hat mal ein Entwicklungshelfer gesagt:
      Wer gutes tut, wird schlechtes sehen und muss lernen damit umzugehen.
      Etwas was ich nicht könnte, deswegen bin ich damals auch nicht in die Entwicklungshilfe gegangen.
      Und so schlimm es klingt. Wahrscheinlich ist es tatsächlich besser, dass der arme mann nichts mehr kapiert.
      Gruß
      Fulano

      • Miki sagt:

        Ja, lieber Fulano, man muss viel sehen… vielleicht ist es ja auch für etwas gut. Und dass er es
        nicht mehr schnallt ist eine Gnade. Aber auch gemein. Er könnte schön im warmen, hellen Zimmer sitzen, ein ordentliches Bett haben… und weiß es nicht und wird sein Geld trotzdem los…

    • GZi sagt:

      Was bin ich froh, dass ich mit meiner Familie auf einem Grundstück lebe, dass meine Mutter/wir meine Großmutter zu Hause pflegen konnten, sie zu Hause in ihrem Wohnzimmer mit Blick in ihrem Garten hinfort gehen konnte, leider war das meiner Mutter nicht vergönnt, aber ich habe die bestmöglichen Gegebenheiten für sie in der Klinik machen können, ich konnte zu jeder Zeit zu ihr… was bin ich froh, dass ich eine Generalvollmacht von meinem Vater habe und ich alles tun kann, damit er sich wohl fühlen kann. Natürlich, vieles kostet viel Geld aber vieles kostet auch Zeit und da bin ich für den Vorteil dankbar. dass wir so nah sind, dass ich bereits viel Erfahrung durch die Pflege meiner Großmutter und Mutter habe und vieles (auch der damit verbundenen Bürokratie) gelernt habe…
      Es tut weh, zu sehen und zu wissen, wie „schändlich“ oftmals mit alten Menschen umgegangen wird, die sich selbst nicht mehr helfen können :cry:

    • Daniela sagt:

      Solche Geschichten lese ich in letzter Zeit immer öfter und das stimmt mich sehr traurig und macht mir vor allem Angst vor dem Alt werden. Solange Pflege und Medizin ein Geschäft bleibt wird sich aber nichts ändern. Ich könnte nicht in diesem System arbeiten das würde mich auffressen, deshalb Hut ab!


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