Schlagwort: pflegeheim

Ein langes Leben

… wird einem oft gewünscht, am Geburtstag zum Beispiel.

Ich versuche zwar zu verdrängen, muss aber – gerade dann-  an die Menschen denken, die in Pflegeeinrichtungen, Seniorenresidenzen, Altenheimen-oder so ähnlich genannt- leben.

Heute war ich in zwei solchen Einrichtungen unterwegs. Einmal mit der Ärztin, sie ist die Hausärztin vieler Bewohner. Sie stürmt geht in die jeweiligen Zimmer, begrüßt die Bewohner nicht und steuert sofort auf die bereits freigelegten Problemzonen zu. Wenn der Bewohner Pech hat, hat er eine Wunde, wo ein Faden gezogen werden muss oder wo man etwas entfernen kann, z.B. Hornhaut, wildes Fleisch, Nekrosen. Tut mir leid, euch hier mit sowas zu behelligen. Aber sie wendet dann dem Mensch selbst den Rücken zu und schnitzt los. Fachfraulich sage ich dazu nichts, aber noch dazu fügt sie den Menschen emotionslos Schmerzen zu und spricht nicht mal mit ihnen. Das wiederholt sich immer wieder. Reden tut sie nur mit der Pflegefachkraft in der dritten Person über den jeweiligen Mensch. Bei einer besonders brutalen Abtragung war ich die einzige, die zur jammernden Patientin ein paar tröstende Worte sagte, während die Fachkraft und die Ärztin sich über etwas anderes unterhielten.

Während man als „Externe“ über die Flure läuft, hört man in seinem Rücken immer wieder „Schwester“ oder „Können Sie mir helfen?“. Auch ich hab mir längst angewöhnt, schnell vorbei zu laufen, abgesehen davon, dass oft Augentropfen, Schmerzmittel, reguläre Medikamente oder Abführmittel eingefordert werden oder gar Probleme gemeldet werden sollen, für die ich nicht der richtige Ansprechpartner bin. Aber ich kenne das Problem, wenn ich dort auftauche suche ich auch oft 10 Minuten nach der Belegschaft. Und den armen Bewohnern geht es nicht anders. Der vorgeschriebene Personalschlüssel… man sollte diejenigen, die diesen festgelegt haben mal unter solchen Bedingungen wegsperren. Mit Schmerzen. Mit Problemen. Mit Kummer. Bei Demenz und damit verbundener Angst und Orientierungslosigkeit.

In der 2. Einrichtung war ich heute insgesamt 3,5 Stunden. Die Uhrzeit war mir vorgegeben. Wieder Wunden das Thema. Die Bewohner machten Mittagsschlaf, aber den Schwestern ist diese Zeit recht. Also werden die Menschen aus dem Mittagsschlaf gerissen, nicht informiert und die gefragten Körperstellen freigelegt. Die (eine) Fachkraft zerrt die Verbände ab, dass die Haut sich auch gleich vom alten Körper trennt, belehrt mich aber währenddessen die ganze Zeit und betont ihre eigene Kompetenz. Mir ist schlecht. Aber in dem Haus berühren mich die traurigen Szenen besonders. Die Gänge sind recht lang und verwinkelt und aus jeder Ecke kommt ein Hilferuf, einen Bitte, ein Flehen… und auch die (andere) Fachkraft flitzt inzwischen schnell vorbei, vor vier Wochen war sie den Menschen noch zugewandt, hat sie den ungleichen Kampf noch aufgenommen. So schnell…nun auch sie…resigniert… und rennend.

Man wird aber auch irre, eine Bewohnerin – wegen einem multi-resistenten Keim eigentlich isoliert-, kommt ständig angeflitzt und will das Haus verlassen… Glück im Unglück, dass sie den Ausgang nicht findet….  dazwischen toben auch noch Angehörige rum, eine Frau hat mir deutlich die Pest an den Hals gewünscht, weil ich die einzige Schwester „blockiert“ habe.

Heute hallt ein Satz bei mir in Dauerschleife nach… „Sie haben auch keine Zeit und können mir nicht helfen?“ begleitet vom Gefühl, auch versagt zu haben… Und im Treppenhaus, hinter der Schwester her rennend, hab ich dieser erzählt, dass ich genau deshalb damals in der Hauskrankenpflege aufgehört habe, weil ich ca. 15x täglich fragende, traurige, unglückliche Gesichter zurücklassen musste, weil ich eine Telefonnummer nicht aus der Schublade kramen konnte, keine Zeit zum Brille suchen hatte, die Zeitung im Kiosk umme Ecke nicht holen konnte, nicht beim Lieblingsbäcker das Brot holen konnte, den Sohn nicht anrufen konnte, nicht mit dem Hund Gassi gehen konnte und einfach nicht mal zuhören konnte…..

Ich bin traurig…. und weiß nicht, ob ein langes Leben nicht oft auch eine Strafe ist…

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Ich will Blumen verkaufen. Oder so.

Obwohl ich eigentlich involviert, aber nicht verantwortlich bin, bezeichne ich mich mal als Zuschauer.

Patient wird aus der REHA entlassen. Er ist 84 Jahre alt und war zu Hause gestürzt, vor zwei Monaten. Nachdem er endlich gefunden wird, kommt er ins Krankenhaus. Dort stürzt er noch einmal und holt sich einen Oberschenkelhalsbruch.

Außerdem verliert er (dort?) sein Hörgerät und die obere Zahnprothese.

Während seiner Abwesenheit kommt seine Lebensgefährtin, um die er sich vorher gekümmert hat, ins Heim.

Heute kommt er aus der REHA zurück. Die Hauskrankenpflege, die vorher die Frau mit-pflegte, wollen ihn unbedingt zu Hause behalten und dort pflegen. Weil: sie haben ihre Station einen Eingang weiter (ohne viel Fahrwege verdientes Geld).

Sein Zuhause:

Eine verwahrloste Wohnung mit einem immer noch defekten Fenster (durch das damals die Feuerwehr durchgestiegen war). Sein Bett: so ein aus der Schrankwand rausklappbares Doppelbett. Alles in die Jahre gekommen, durch die Hinfälligkeit der Frau schon lange in Mitleidenschaft gezogen. Veraltet, Teppichstolperfallen, Schwellen, Stufen…

Der Mann kann nicht alleine aufstehen, nicht auf die Toilette gehen, natürlich nichts einkaufen, sich nichts zu essen selbst machen, sich nicht waschen. Er braucht immer Hilfe. Nichts ist behindertengerecht, nirgends Haltegriffe, niemand da, wenn er ruft.

Er ist inzwischen völlig durchgeknallt, eine Gnade.

Leider hat er Geld. Denn die Hauskrankenpflege will das alles ja nicht umsonst machen. Er hat immer gespart, ist ärmlich eingerichtet. Und so also soll er nun seinen Lebensabend fristen. In dieser Umgebung, wo sich niemand verantwortlich sieht, heraushängende Schranktüren wieder zu befestigen oder Kleidung, die nie wieder jemand tragen wird, zu entsorgen, um etwas Platz zu schaffen. Oder ein gescheites Bett zu beschaffen.  Von den „Gardinen“ will ich gar nicht sprechen …. und die Fenster…

Ich komme ja auch viel in Altenpflegeheimen rum. Da gibt es natürlich auch gute und schlechte. Aber schlechter als dort, überwiegend allein, dann noch so verwirrt und in solch ungemütlicher Umgebung, immer drauf angewiesen, dass irgendjemand wiederkommt, etwas zu essen mitbringt und sich kümmert…. nein… nicht schön….

Und das alles unter dem Deckmäntelchen „er möchte doch zu Hause bleiben“. Ich sag mal: „Und ihr wollt seine Kohle.“ Schämt euch, wenn nicht ihr organisiert, was für ihn am besten ist, wer soll es denn sonst tun? Warum darf er nicht in das Heim, wo nun seine Lebensgefährtin schon ist? Warum hilft ihm denn keiner?

Ich bin traurig. mikiganztraurig

PS: Ich bin ja nur die Fachfrau am Rande, warte mit der Chefin der Pflegestation auf den Doktor. Als der kommt, will der Patient gleich was erzählen. Haste gedacht! Dem wird erstmal der Mund verboten. Man müsse sich unterhalten! Aber wegen diesem Hausbesuch hockt er die ganze Zeit halb ausgezogen (es gibt Wunden anzugucken, deshalb bin ich auch dort) auf dem Bett, obwohl man sieht, dass es ihm schwer fällt, dass er gleich umkippt und dass er Schmerzen hat. Aber wen interessiert das schon. Erst muss die Chipkarte hergezeigt werden…und so.

Ich will nicht mehr. Will was schönes verkaufen. Blumen! Ja! mikitraurigblümchen