30 Jahre

Heute vor 30 Jahren erhielt ich zwei…. „Nachrichten“… blöd formuliert, ich erfuhr also 2 Dinge, nein, eigentlich nur eine Sache und eine andere hatte sich somit erledigt: So gesehen, eine gute und eine schlechte Nachricht.

Die schlechte Nachricht: „Sie haben Diabetes.“

Daraus ergab sich die gute Nachricht: „Sie haben keinen Gehirntumor“.

(Das stand wegen schwankenden Sehstörungen im Raum, auf dem Röntgenbild „war schon was zu sehen“ … das war dann aber nur mein individueller Kopf)  :grin:

Ich war 17.
Und genau so hab ich es auch gesehen, es war noch wenigstens die bessere Nachricht. Damit kann man leben.

Es ist zwar alles ein bissel schwieriger, der Herr Diabetes ist schließlich Tag & Nacht, tagaus, tagein, ohne Urlaub, Freistellung, Pause, Verbannung oder sonstwas anwesend. Immer muss man ihn mit einplanen, berücksichtigen, kooperieren….

Aber eigentlich alles nicht so spektakulär. „Stoff“ und Teststreifen, seit ca. einem Jahr auch Glucose-Sensoren (super Verbesserung wieder) und die Hilfsmittel müssen eben immer mit dabei sein. Das geht aber so in Fleisch und Blut über, das funktioniert.

Die Umwelt: ich habe festgestellt, wenn man selbst kein Problem damit hat, hat die Umwelt auch keins. Auch nicht mit der Pumpe, die ich nun schon 20 Jahre habe.

Angefangen mit Spritzen zum Auskochen, keine Testmöglichkeiten zwischendurch, feste Esszeiten und -Mengen, dann „West-Einmal-Spritzen“ durch West- Tante, nach der Wende Einmalmaterial auf Rezept, Blutzucker- Teststreifen, Insulin-Pens (wie ein „Kugelschreiber“, Insulinpatrone drin, Kanüle vorne dran, unauffällig und praktisch), dann Pumpe (keine festen Spritzzeiten mehr), Selbstanpassung (Essen wie, wann und was man will, das Kunststück ist „nur“, das Essen richtig mit Insulin abzudecken). Seit ca. einem Jahr ein Glucose- Sensor; die Werte gehen permanent aufs Handy, so kann ich immer reagieren, korrigieren. Blöd, das muss ich selbst bezahlen. Da wird es auch lustig: ohne diesen könnte ich meinen jetzigen Job nicht leisten und ohne den Job könnte ich mir das System nicht leisten. Aber was soll’s, das Schicksal hat auch immer die Hände im Spiel.

Und es wird immer besser, jedenfalls die Technik. Dass nicht jeder Zugang dazu bekommt ist ein ganz anderes Thema. Allerdings finde ich die Versicherten-Mentalität „ich will alles für umme“ auch widerlich.

Dass ich ihn mal komplett loswerde, glaube ich allerdings nicht. Es ist ja so, dass Forschung Geld braucht. Und ein Patent, welches das Messen mit Teststreifen unnötig gemacht hätte ist vor zig Jahren aufgekauft worden und in der schwarzen Schublade verschwunden. Warum? Gekauft von der Hersteller-Firma der Teststreifen. Es geht doch immer nur ums Geld.

Aber das ist ein ganz anderes Thema.

30 gute, turbulente, bunte Jahre mit diesem Begleiter liegen hinter mir. Ein Ableger, ein Ehemann, eine Scheidung, mehrere Partnerschaftenschaftsversuche , mehr als 10 Arbeitsverträge, ein Haus, acht Adressen…. also eingeschränkt hat er mich… nicht wirklich …. :idea:

PS:

Ehe jetzt alle denken „ist ja total easy“, das ist es natürlich nicht. Es gibt ja nicht wenige Typ 1 Diabetiker, die einen Schwerbehindertenausweis haben. Das will ich aber nicht.
Aber „wir“ sind infektanfälliger, jeder Stress, ob positiv oder negativ, haut den Zucker durcheinander, d.h. das „übliche Programm“ ( Insulindosis) passt dann gar nicht mehr. Jede Rekonvaleszenz dauert (nach meiner Erfahrung) viel länger. Jede größere Anstrengung muss mit berücksichtigt werden (weniger Insulin), genau so jede Phase mit weniger Aktivitäten (mehr Insulin).
Sport muss man mit einkalkulieren wie auch sowieso körperliche Anstrengung anderer Art (z.B. handwerkern, gärtnern…) Man kann nicht einfach loslegen, muss alles geplant sein.
Ich trage ja eine Insulinpumpe mit schnellwirkendem Insulin, ich kann recht spontan reagieren: plötzlich wandern? Ok., Dosis drosseln. Ein Diabetiker, der sich Stunden vorher langwirkendes Insulin gespritzt hat, muss dann gegen-essen, weil er das Insulin ja nicht „zurückholen“ kann. Ist eben alles nicht so super- easy. Der Körper benötigt auch ohne Essen sein Insulin, zu jeder Tageszeit anders. Diese Dosis muss man erstmal ermitteln. Und dann verändert sich das über die Jahre, auch Gewichtsschwankungen, Medikamente und andere Erkrankungen verändern wieder alles. Das muss in Abständen korrigiert werden, das nennt man dann „neu einstellen“.
Das Gefährlichste kurzfristig ist immer das „Unterzuckern“, wenn also etwas des oben genannten schief gegangen ist (zu doll angestrengt, zu viel Stress, möglich auch immer, dass man sich mit der Essen-Insulin-Dosis verschätzt hat und zu viel „gespritzt“ hat). Daher sieht man manchmal einen Diabetiker hektisch Gummitiere oder Traubenzucker essen, um aus der Nummer wieder rauszukommen, denn wenn man das nicht tut, fällt man irgendwann bewusstlos um.
Das ist dann die Stelle, da rufen in billigen Vorabendserien die Leute „Insulin, Insulin!“, was völliger Quatsch ist, man muss „Zucker, Zucker!“ rufen, denn das „überdosierte“ Insulin hat ja diesen Zustand herbeigeführt.
Das soll nur eine grobe Erklärung sein, wirklich für Unkundige, vielleicht ist es ja mal irgendwo hilfreich.

Bild Creative Commons CC0
    • Alex sagt:

      Puh, das ist mal eine Nachricht für eine 17jährige, die man erst einmal verdauen muss. Die Nachricht ist zwar immer heftig, aber in der Zeit hat man ja noch mit sich selbst zu kämpfen. Alles Gute weiterhin! :teddy:

    • „Die schlechte Nachricht: „Sie haben Diabetes.“

      Daraus ergab sich die gute Nachricht: „Sie haben keinen Gehirntumor“.

      Ich musste: LACHEN!! :mrgreen:
      Sehr geil, DAS nenne ich positiv Denken! Du könntest glatt Rheinländerin sein.

      Ich glaube, mir könnte der Arzt echt den Tag versauen, wenn er mir sagen würde, dass ich Diabetes hätte. :razz:

      Wie machst du das eigentlich, wenn du so viel Auto fährst? Hast du den Mist so gut im Griff, dass du keine Angst haben musst?

      • Miki sagt:

        Ja, lieber Applejünger, das hat mir mächtig den Tag versaut, kannste wissen :whaaa:
        Aber nicht das Leben :idea:
        Und das meinte ich im Artikel: ohne den Sensor könnte ich den Job nicht leisten, damit meinte ich gerade das – lange- Auto fahren. Der Sensor ist ein ganz dünner Platinfaden, der im Bauch (Speck :mrgreen: ) sitzt, darauf ein kleiner Transmitter und der sendet aller 5min einen Wert aufs Handy. Und dieses Handy warnt mich, wenn die Werte ausbrechen. Nach oben: Stoff geben, nach unten: Gummibären futtern. Das hilft sehr, vor dieser Zeit bin ich immer „hochtourig“ gefahren, heißt; die Werte lieber zu hoch laufen lassen. Das ist natürlich nicht gut langfristig.
        Diese Sache ist relativ neu, daher zicken auch die Krankenkassen noch. :ko:

    • Kaddi sagt:

      Oh Diabetes, das hätte ich definitiv auch lieber als einen Hirntumor. Aber ich wünsche Dir auch keine Diabetes… aber nu isse da. So gesehen, an mein Herz Depressionen, schöner als Krebs… ganz bestimmt.

      Können wir uns nicht glücklich schätzen trotz aller kritikwürdiger Gesundheitspolitik hier zu leben? Auch wenn mir unser System gerade den letzten Nerv raubt. Aber das ist eine andere Geschichte.

      Alles Gute weiterhin!

      • Miki sagt:

        Liebe Kaddi, es ist halt kein Wunschkonzert und wir müssen aus dem, was wir haben, das Beste machen. Und schlimmer geht immer…. Und tauschen will irgendwie auch keiner, was man hat, weiß man, was man kriegt, weiß man nicht …. :idea:

    • Silencer sagt:

      Es macht mir immer Mut, wenn ich höre, dass Leben mit Diabetes nicht nur möglich ist, sondern sich der Alltag auch fast ohne Einschränkung arrangieren lässt. Denn wenn ich meine Familiengeschichte so ansehe, dann habe ich noch ca. 10 Jahre, dann ist Herr Diabetes auch bei mir dauerhafter Gast. Von daher: Danke für diesen sehr persönlichen Artikel, der mir Mut macht!

      • Miki sagt:

        Lieber Silencer, wenn ich dich richtig verstehe, „wartest“ du auf den Herrn Diabetes Typ 2, während mich der Typ 1 erwischt hat. Am Ende des Tages das gleiche Hauptsymptom; hoher Blutzuckerspiegel. Aber andere Ursache: Typ 1: Totalausfall der insulinproduzierenden Zellen (ist wirklich jetzt nur die Kurzform, auch da gibt es Remissionsphasen und Mischtypen, man „erfährt/erforscht“ auch immer mehr), Typ 2: Ermüdung der produzierenden Zellen ( durch Überbeanspruchung, wenig Bewegung, viel Futter, Übergewicht). Und ja, es gibt die familiäre Häufung. Aber waren die Betroffenen deiner Familie gute Esser bei wenig Bewegung/ Sport? Dann steigt deine Chance, wenn du dich fit hältst. Und auch wenn es einen schon erwischt hat (Typ 2), mit gesunder Lebensweise (Gewichtsreduktion, viel Bewegung bzw. Sport, gesunde Ernährung) lässt er sich sogar oft wieder vergraulen. Was aber nicht einfach ist, mein Pirat kämpft damit.
        Aber auf jeden Fall ist es heute nicht mehr „wie früher“. Ein Diabetiker heute kann grundsätzlich erstmal alles essen (dass nicht alles gesund ist, wissen wir, auch nicht für Nicht- Diabetiker). Die Sachen wie „Diabetiker- Kuchen, -Schokolade,-Kekse…“ sollten längst aus den Regalen verschwunden sein. Man muss mehr mit-denken, was auch für „Gesunde“ oft besser wäre. :what: Aber denk an diverse (Nahrungsmittel-) Allergien oder Glutenunverträglichkeit, das ist schwieriger zu händeln (finde ich).
        Also: keine Bange. 1. kannst du bedingt dafür sorgen, dass der Herr den Weg zu dir nicht findet. Erscheint er doch, kannst du ihm im besten Fall immer noch einen Tritt geben. Ist er sehr hartnäckig, kommt man auch mit ihm klar. :smile:


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