Blind Date und erste Liebe

Hier kommt eine wahre Begebenheit aus dem Jahr 2004, durchbrochen von viel weiter zurückliegenden wahren Ereignissen.

Ein paar erklärende Worte: Ich war damals gebunden und noch nicht entschlossen genug, mich von meinem Partner zu trennen (Haus, Verpflichtungen…). In dieser Beziehung gab es keinen Sex. (Dazu sage ich nicht mehr). Das soll aber rechtfertigen, dass ich auf der Suche nach einem Liebhaber war, um dieses Defizit auszugleichen. Böses Miki. Ich weiß.

Das ging nicht mehr lange so, ich hab den Mann 2005 verlassen. (Dies war nicht mein Ex-Ehemann, sondern mein 2. Versuch). Ein wenig turbulent – aber ich liebe mein Leben….

5.02.04

Ich hasse Blind Dates!
Aber trotzdem ist es wieder so weit. Ein denkwürdiger Tag nimmt seinen Lauf. Aber noch ahne ich davon nichts.
Wir sind lose verabredet, abends steht bei mir ein Geschäftsessen an und es besteht die Möglichkeit, dieses etwas zu verlängern.

Leider habe ich wieder Verspätung beim Start ins tägliche Verkehrschaos, aber ich gebe immer tüchtig Gas, wenn die Möglichkeit besteht, selbst wenn ich es nicht eilig habe.
Aber heute ist eben so ein Tag, wo mir dies zum Verhängnis wird. Blitz! Dumm glotze ich in die Richtung, aus der der rote Blitz kam. Nun bin ich auch niemand, der dann auf die Klötzer geht! Ist ja dann eh zu spät! Oh, wär ich doch! Ich habe gerade noch gesehen, dass links neben mir ein gelber Ford Ka auf gleicher Höhe fährt und noch kombiniert, dass der ja auch auf dem Bild sein könnte, dass sie mich dann nicht belangen können…und wie schnell war ich eigentlich….?
Blitz! Au nein, nicht schon wieder! Hätte ich doch nur gebremst!
Jetzt werd ich aber sauer! Bremsen? Nö. Hat Berlin denn so viele Laser-Pistolen?? Wat üben die denn hier!? Der Blitz war wieder rot, ich bin jetzt eher blass, der gelbe Ford Ka ist aber auch noch neben mir. Ich bin so sauer! Rufe per Handy ( natürlich mit Freisprechanlage, Polizei hat ja scheinbar Großeinsatz hier!) meinen damaligen Lebensgefährten an, der mir gleich noch einen Blitzer flüstert. Da fahr ich aber nicht lang, und so richtig trösten kann er mich auch nicht. „Wat fährste och immer so schnell“ hilfsberlinert er nur, aber nicht böse, ist wohl eher ein Appell an meine Lernfähigkeit. Diese Ansprache dringt nur an mein Ohr, ändert ( leider) nichts an meinem Fahrstil.

Ich will ja auch pünktlich zur Arbeit erscheinen, nehme eine Abkürzung, weg vom Hauptverkehrsfluss. Dort fahren nur ganz wenig lang, ist also schön leer. Der Nachteil ist, dass es teils eine 30er- Zone ist. Das ignoriere ich wie immer…und ich bin auch nicht stolz drauf. Als ich die Polizeikelle sehe, denke ich, ich träum heute nur schlecht. Mausefalle 3 ist zugeschnappt! Ich werde gleich rechts um die Ecke zum Interview gebeten. Ich bezahle gleich, dreimal Post an meine Firma, auf die das Auto ja gemeldet ist, wäre selbst mir peinlich. Ich bin erschüttert. Will es einfach nicht glauben. Wieder so eine Geschichte, die mir kein Mensch glaubt! Na ja, einmal hab ich schon schriftlich und zweimal kommt Post. Dann hab ich die Beweise.
Ich schleiche auf den Straßen weiter, Autofahrer, die mich sonst nur von hinten sehen, können heute mal bei mir ins Auto glotzen.
Nun will ich aber unbedingt mit jemandem sprechen, spontan und unüberlegt rufe ich ihn an.
„Schüßler“ Was? Heißt er nicht anders? Ich fasel was und mach dann auf Funkstörung, kann ich ihm später immer noch erklären. In unserer Situation müssen wir ja auch vorsichtig sein, man weiß nie, wer noch so Zugriff auf das Handy hat, wobei man gerade stört. Will ja niemand in Erklärungsnot bringen.

Aber bei „Schüßler“ fällt mir so viel ein.

 

Rückblick:

Da muss ich eine Reise fast zwanzig Jahre zurück antreten. Ich war fünfzehn Jahre jung. Die Seele noch fünfzehn Jahre zart. So sehe ich das heute.

Für Männer habe ich mich nicht besonders interessiert, habe zwar schon hingesehen, bin aber nicht in Discotheken gerannt und fühlte mich „ohne“ nicht unvollständig. Es waren Sommerferien und schönstes Wetter, unsere Familie wohnte in einer schönen ruhigen Straße. Gegenüber wurde gerade ein Mehrfamilienhaus saniert, teils wohnten die Familien weiter drin, zwei Wohnungen waren frei.

Eines nachmittags sehe ich durch unser Wohnzimmerfenster, durch so eine typische Gardine hindurch einen jungen Mann aus dem Haus rauskommen. Mein Herz hüpfte….irgendwohin. Ob hoch, runter oder raus oder so vermag ich nicht zu sagen. So starre ich hinaus, bewegungslos. Da erscheint ein blondes Mädchen, sie begrüßen sich und küüüüüüüssen sich, ewig. Während und lange nach dieser Ewigkeit laufen Bäche von Tränen über meine Wangen. Ich kann weder glauben, was ich sehe, was ich fühle, was meine Augen machen…..nichts. Ich weiß nicht, was soeben mit mir passiert ist.

Das Paar setzt sich auf eine beigefarbene Schwalbe und fährt davon.

Und meine Welt wird nie mehr so sein, wie sie vorher war.

Sie wird für immer die bittersüße Sehnsucht nach diesem Mann enthalten.

Schwalbe

Quelle: wikimedia commons

Am nächsten Tag ist er wieder da. Ich natürlich auch. Mit meiner besten Freundin habe ich mich mit einer Decke und ein wenig Proviant auf dem Dach meines Elternhauses eingerichtet, natürlich ziehen wir die Aufmerksamkeit der Handwerker von gegenüber auf uns. Seine auch.
Es wird gewunken und gepfiffen. Herausfordernd antworten wir auf die „Drohung“, sie würden hoch zu uns kommen: „…ihr traut euch ja doch nicht…“.
Nicht viel später taucht sein Kopf in der Dachluke auf. Wir sitzen auch nicht auf einer Dachterrasse, sondern auf dem Dach eines kleinen Anbaus. Nur zu erreichen über ein Treppenhaus über zwei Etagen und dann eine wacklige Leiter. ( Natürlich wissen unsere Eltern nichts von dem kleinen Abenteuer, sie müssen ja schließlich arbeiten).
Ich bekomme kaum ein Wort heraus, das „Gespräch“ bestreitet meine Freundin.
Die letzten zwei, drei Ferientage verlaufen ähnlich, winken, pfeifen, necken….
Einmal koche ich Vanillepudding (unser Proviant), den muss er mitessen. Meine Freundin findet das furchtbar peinlich. Ihr gefällt er auch absolut nicht, im Gegenteil. Wolfgang ist auch keine Schönheit, wie er vielleicht jungen Mädchen im Traum erscheint. Aber für mich ist er etwas ganz besonderes. Er berührt meine Seele im tiefsten Inneren, nie werde ich es verstehen und nie hab ich so etwas wieder erlebt.
Außerdem haben wir von dort oben immer fotografiert und ich habe nachts gleich die Bilder entwickelt, ein altes Hobby. Diese Fotos werden angesehen, ich glaube, er hat auch welche bekommen. Er ist also noch mindestens einmal zu uns aufs Dach gekommen. Zwanzig Jahre sind halt auch eine lange Zeit, ich weiß es nicht mehr ganz genau.
Dann ging die Schule wieder los. Auch ohne meine Freundin wurde gewunken und gepfiffen. Ich hatte immer Angst, meine Freundin könnte ihm besser gefallen. Sie war klein und zierlich, hatte fast schon Ähnlichkeit vom Typ mit seiner Freundin (?). Ich dagegen war damals schon relativ groß, mit 1,76m schon ein wenig größer als er.
Wenn ich von der Schule kam, ist er immer zu mir rübergekommen. Dann standen wir uns gegenüber und wussten nicht recht, was wir machen sollen. Nun wusste ich auch, dass er zwanzig Jahre „alt“ war, das kam mir doch schon recht alt vor. Dass er wahrscheinlich auch hilflos und schüchtern gewesen sein muss, sicher auch unsicher, war mir natürlich nicht klar.
Die Baustelle wurde fertig, der „letzte“ Tag rückte näher.
Er kam wieder zu mir rüber, in unserem Garten war ein Geländer, da setzte er sich drauf. Da ich stand, war ich noch ein Stück größer. Sein Mut, meinen Nacken zu streicheln, um mich dann zu sich herunter zu ziehen, um mich zu küssen, wurde nicht belohnt. Ich entwand mich ziemlich robust und hielt Abstand. Ich war bis dahin ungeküsst und in dem Augenblick wohl überfordert. Meinen ersten Kuss habe ich mir immer „anders“ vorgestellt, vielleicht Arm in Arm auf einer Bank sitzend, wenn er sich schon nicht „von oben“ mit seinem Kopf herabbeugen muss , so doch wenigstens auf einer Höhe. Heute kann ich darüber schmunzeln, allerdings gebe ich immer einen leichten Widerstand, der öfter Schwierigkeiten macht.
Für ihn war das eine glatte Abfuhr. Mein Herz schnürt sich bis heute schmerzhaft bei dem Gedanken zusammen, dass er nicht weiß, wie groß dieser Irrtum war…
In dem nun fast fertig sanierten Haus war eine Fleischerei, zu der er manchmal einkaufen ging. Dann kam ich aus der Schule und er stand dort drüben in der langen Schlange. Wollte er wirklich nur Wurst kaufen? Oder mich wiedersehen?

Ich hab mich nicht zu ihm rüber getraut, aber gehofft, er würde mal rüberkommen. Aber bei meinem Verhalten, woher sollte er denn wissen….?

Er war der Inhalt fast all meiner Gedanken. Zum Leidwesen meiner Freundin wollte es auch nicht nachlassen. „Meine“ Musik war immer traurig und sehnsuchtsschwer. Während sich meine Altersgenossinnen  in Discotheken nach Jungs umsahen und fröhlich nach der Musik der 80er Jahre hüpften, suchte ich immer und überall nach Wolfgang. Ich wusste nur seinen Vorname, nicht wo er wohnte, wo er hinging, nichts.

Aber trotzdem sah ich ihn wieder. Eine Baustelle auf dem Schulweg wurde für kurze Zeit sein Arbeitsplatz. Wieder winken und pfeifen. Meine genervte Freundin hat wahrscheinlich in dem Maße, wie ich mir eine ewige Baustelle wünschte, diese Zeit verwünscht. Wolfgang früh, mittags, abends, nachts. Aber leider nur in meinen Gedanken und in den Gesprächen mit meiner Freundin. Liebe Carola, ich danke dir trotzdem für deine Geduld!
Er wird wieder nichts davon gemerkt haben, wie denn auch?
Aber da war immer noch die beigefarbene Schwalbe! Auch wenn ich ihn schon nicht mehr auf der besagten Baustelle gesehen habe ( wer weiß, welche Räume die gerade elektrifizieren?) seine Schwalbe war da! Jeden Tag stand sie dort. So hatte ich schon ausgekundschaftet, dass unter dem Sitz ein unverschlossenes Fach war. Ich nahm meinen Mut zusammen und schrieb ihm einen Brief. Schon in der Anrede „Mein lieber Wolfgang“ steckte so viel Wahrheit und Herzblut. Es war kein triefender Liebesbrief. Ich teilte ihm mit, dass ich oft an ihn denken würde und mich über einen Anruf oder gar Besuch freuen würde.
Keine Antwort.

Die Schwalbe stand noch da, als das Haus längst fertig war. Welcher Schmidtmützen-Opa wird sich da wohl meinen Brief briefeingerahmt haben?

Ich habe irgendwie aufgegeben, zum einen dachte ich einfach, ich hab ihm eh nicht gefallen und außerdem war ich inzwischen 1,82m groß. Ich wollte ihn gern vergessen.
So hab ich mit siebzehn Jahren meinen späteren Mann kennen gelernt. Ich will behaupten, dass ich dann nicht mehr an Wolfgang gedacht habe, aber kann man das glauben?

An einem Morgen, als ich lustlos zur Straßenbahn schlurkste, anders kann man das wirklich nicht nennen, ( 1.) so früh, 2.) auf dem Weg zu Fachschule und 3.) auch noch erste Stunde Sport!), dachte ich doch wieder an Wolfgang.
Und während ich an ihn dachte und die lange Straße entlangging (natürlich auf dem Bürgersteig!) kam mir Wolfgang entgegen. Wirklich! Ich musste auch dreimal hingucken!
Wir blieben stehen, mehr als ein dünnes „na?“ und „hallo“ kam nicht dabei raus. Das Großartigste, was ich gesagt hab, war noch „du wolltest doch mal anrufen..“ und er sagte wohl so was wie „..mach ich..“ Ich weiß bis heute nicht, ob er überhaupt meine Telefonnummer hatte.
Er streichelte meine linke Wange, die fortan glühte, und auf dem weiteren Weg zur Straßenbahn liefen Tränen über mein Gesicht. Nicht schon wieder! Welche Macht hatte dieser Mann über mich?? Was waren das für Tränen? Freude? Kummer? Schmerz? Herzblut?

Er rief nie an. Ich bin mir sicher, er war der einzige Mensch, der die Macht gehabt hätte, mich davon abzuhalten, im Dezember 1987 zu heiraten.

Mein Leben änderte sich radikal durch Umzug und Nachwuchs, ich konnte tatsächlich kurz vergessen.
Bis zu einem Tag im Sommer 1988, als ich mit meinem Sohn auf dem Arm vor meinem Elternhaus stand und auf meine Mutter wartete. Und in der langen Schlange vor der Fleischerei stand….Wolfgang.
Ich wäre gern im Erdboden versunken, aber warum eigentlich? Fühlte ich den Verrat?

Ich wollte endlich vergessen.
Es gelang leidlich. Doch. Schon.
Es kamen die glücklichsten Jahre meiner inzwischen längst gescheiterten Ehe.

1994 war die ganze Geschichte zehn Jahre her und ein Anliegen hatte ich noch immer. Ich wollte, dass er erfährt, dass er meine „erste große Liebe“ war. Ich fand, das war ich ihm schuldig. Wenn ihm „diese Geschichte“ auch merkwürdig vorgekommen war, wollte ich es doch gern wenigstens erklären.
Ich wollte dieses Buch für mich schließen.
Durch seinen ehemaligen Chef, den ich kannte, da er zu den entfernteren Nachbarn meiner Eltern gehörte, erfuhr ich durch eine abenteuerliche Lügengeschichte über Klassen- oder Clubtreffen oder so am Telefon seinen Nachnamen und dass er aus einem kleinen Ort bei Berlin kommt. So ausgerüstet forschte ich im dortigen Gemeindeamt und erhielt die Auskunft, er wäre verheiratet und hätte zwei Kinder. Was aber für mich viel wichtiger war, ich wollte seine Adresse.
Ungefähr bekam ich sie auch, ohne Hausnummer, aber das Nest ist ja nicht so groß. Als ich dachte, dass so ungefähr sein Geburtstag sein musste (sein 30., das wusste ich genau), schickte ich eine Karte, die neugierig machen sollte. Gute Wünsche, wieder, dass er mir einmal sehr wichtig war, und das er sich gerne mal melden kann.
Wieder nichts. Meinen kompletten Absender hatte ich draufgeschrieben, nur den Vornamen auf den ersten Buchstaben reduziert. Aber zum Neugierig- machen muss es doch gereicht haben!
Aber wieder nichts.

Dieses Jahr nun sind es 20 Jahre und ich habe schon mehrere Detektive kontaktiert, um ihn suchen zu lassen. Endlich will ich dieses Buch schließen!

 

Und heute treffe ich mich mit einem Mann namens Schüßler?!
Wolfgang ist es nicht, ich hab ein Bild, aber die Firma hat einen Doppelnamen, vielleicht gibt es da eine Verbindung? Ach was! Zu abenteuerlich und absurd der Gedanke! Wir leben hier schließlich in einer Millionenstadt!

Als ich geblitzbeutelt in der Firma aufschlage erfahre ich als erstes, dass das Geschäftsessen ausfällt. Passt doch gut, dann hab ich mehr Zeit für mein Date mit einem Super-Alibi.
Wir simsen hin und her, er ist in der Nähe unterwegs. Wir wollen uns schon mal tagsüber treffen und dann entscheiden, was wir aus dem Abend machen.
Wir verfehlen uns und / oder verabreden uns schlecht, dann steigen wir um auf Telefonieren. (Dass ich früh der seltsame Anrufer war, hab ich schon freiwillig zugegeben). Wir schaffen es, beide den Ostbahnhof anzusteuern.
Wir bessern wieder per Telefon nach, und begegnen uns am Haupteingang vom Kaufhof am Ostbahnhof. Er kommt von draußen und ich von drinnen.
Mein Herz klopft jetzt, als will es raushüpfen. Da ist er! Aber ich muss ihn direkt ansteuern, fast schon ansprechen, ehe er begreift, dass ich ES bin. Eigentlich hat er Bilder von mir, aber irgendwas passt nicht in sein Bild. Wir überlegen kurz, fahren dann nach oben ins Restaurant im Kaufhaus.
Ich sehe ihn mir an, habe den Verdacht, dass er beim Alter gemogelt hat. Das alte Lied, dabei ist mir das herzlich unwichtig. Er zapft Milchkaffee und wir suchen uns einen schönen Platz.
Und erzählen viel, auch über unsere Familien. Es treffen sich ein Frühaufsteher und eine Langschläferin. Na ja, dazwischen wäre ja Zeit.
Er lebt, genau wie ich, „im zweiten Versuch“.
Ich sehe mir seine Hände an, in seine Augen und höre auf den Klang seiner Stimme. Frage mich, was könnte gehen, was nicht? Ich brauche dafür immer ein wenig Zeit, entscheidend ist, was denke ich morgen, wie fühlt es sich an? Ich nenne das „ Schüttelglas“, erst muss sich alles setzen, dann kann ich klarer sehen.
Als er über seine Firma spricht, sag ich: „das ist ja witzig, ich kannte mal einen Elektriker, der hieß auch Schüßler, aber Wolfgang“, fragt er: „und wo kam der her?“, sag ich: “aus Blumberg“, sagt er: „ ach det is mein Bruder, der lebt aber nich mehr, der hat sich totgesoffen….“

Es macht knacks und knirsch in mir, natürlich kann ich meine Tränen nicht aufhalten. Ich habe immer noch Tränen für diesen Mann, jetzt um diesen Mann. Ungesagt bleiben die Worte, die schon so lange für ihn bereitliegen.
Unser Date nimmt eine ungeahnte Wende, bruchstückhaft versuche ich die Bedeutung dieser Information zu erklären.
Ich habe trotz mehrerer Versuche keine Detektei gefunden, die bereit war, meine große Liebe für mich zu suchen. Zu schnöde so ein Auftrag? Die Liste derer, die ich noch anrufen wollte, war noch lang und lag in meinem Schreibtisch. Und ich treffe mich auf der Suche nach einer Nebenbeziehung, also nach einem Geliebten, in der Millionenstadt Berlin, ausgefiltert aus zig- Hundert Reaktionen auf meine Anzeige …mit Wolfgangs Bruder. Zufall? Schicksal?

Tausend Fragen habe ich an seinen Bruder, aber nicht die Kraft, sie auch zu stellen.
Ich erfahre, dass es Selbstmord war. Zu viel für den einen Tag. Natürlich muss ich mehr erfahren. Aber nicht jetzt.
Wir verabschieden uns. Wir reden, als wäre es völlig selbstverständlich, dass wir uns wiedersehen. Etwas anderes kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich muss doch noch so viel wissen. Es kann kein Zufall sein, dass wir uns begegnet sind.
Wieder so eine Story, die einem niemand glaubt, wenn man sie in ein Buch schreibt. Zu unglaublich.

Leider endet diese Geschichte hier.

Er hat sich absolut zurückgezogen, gerade noch den Friedhof, den ich recherchiert habe, hat er mir bestätigt. Dort liegt Wolfgang anonym begraben. Kein Grab. Kein Stein. Nicht in seiner Heimatgemeinde.
Irgendein Geheimnis liegt darüber.

Mein lieber Wolfgang,

ich wollte dich doch nur noch einmal wiedersehn,
ein winz’ges Stück des Weges zusammen mit dir gehn.
Ein einz’ges Mal dir sagen, dass ich dich geliebt,
dass die Sehnsucht mich hat jahrelang betrübt.

Ein einz’ges Mal wollt ich doch von dir wissen,
wolltest du aus Spass mich damals küssen?
Oder fühltest du es damals auch?
Den Wirbelsturm in Herz und Bauch?

Nie kann ich dich nun das alles fragen,
was in deinem Leben konntest du nüchtern nicht ertragen?
Es fällt mir schwer, das zu verstehn:
Niemals mehr werden wir uns wiedersehn.

Hast du damals schon getrunken,
als du noch fröhlich mir gewunken?
Ab wann war es fest bestimmt,
dass es so ein krasses Ende nimmt?

Hab befüllt ein ganzes Tränenmeer,
es zu glauben fällt mir heut noch schwer.

 

Heute wärst du 46 geworden. Wir halten wieder unsere kleine stumme Zwiesprache, die nur Fragen und keine Antworten kennt.

 

Update

Ja, es gibt ein Update aus 2014. Das letzte Kapitel ist geschrieben und es ist gut, dass ich es lesen durfte.

Ich konnte nun abschließen, Frieden finden, es so sein lassen, wie es ist.

Danke Shirley & Mom!

 

    • GZi sagt:

      Was für eine herzergreifende, unfassbare Geschichte, ich musste sie mehrmals lesen und fühle mit Dir, wie es war, vor allem damals aber auch als Du den Bruder getroffen hast… Wie unendlich traurig, dass er nicht die Kraft und menschliche Größe hatte, Dir ein wenig mehr zu erzählen.

      Traum
      Zusammen den Strand entlang jagen,
      wie Möven so frei,
      am Kaminfeuer Märchen erzählen,
      bei einem Glas Wein.
      Jeder sein Leben leben
      doch teilnehmen und teilhaben lassen,
      doppelt genießen und
      halbe Probleme,
      nicht allein sein
      aus Alpträumen erwachend.
      Ich fühl‘ seine Wärme und spür‘ seinen Atem,
      ich strecke die Hand aus, ihn zu berühren,
      ich greife nur in die kalte Leere
      und erwache dabei
      aus meinem schönsten Traum.

    • web-newspaper sagt:

      Eine sehr schöne Geschichte, ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen…

    • Marc sagt:

      Jetzt bin ich doch froh, dass ich mir die Zeit genommen habe von oben bis unten in Ruhe zu lesen.
      Ansonsten… fehlen mir irgendwie die passenden Worte, um Gedanken in sinnvolle Worte zu packen.

    • Kaddi sagt:

      Ich habe auch alles gelesen, obwohl die Kids hier ganz schön Rabatz machen… ich bin fasziniert. Ich habe auch mal jemanden gesucht, auch bei mir stehen die Chancen eher schlecht. Noch heute denkt er, ich wollte ihn eben nicht. Aber das stimmte nicht, ich war in einer Beziehung und konnte nicht einfach mal eben so ausbrechen-ich Dumme… den werde ich nie wiedersehen. Ein toller Kerl-auch eher für andere häßlich, aber die Chemie…

      was ich nicht alles angestellt habe, aber finde mal nen Schotten, der nur sechs Wochen in D war… heul… Das Buch habe ich leider auch nie geschlossen…. LG Kaddi PS: Das hast Du wirklich berührend geschrieben… ich würde glatt ein Buch von Dir lesen…

    • mikmups sagt:

      …genau wie Kaddi…sage ich dir doch schon sehr lange „schreibe ein Buch“ :sick:

    • Tekima sagt:

      Wir haben fast alle – jedenfalls die, die sich nie vor tiefen Gefühlen scheuten – unsere Was-wäre-wenn-Erlebnisse gehabt. Wehmut und Phantasie, versponnen mit Wunschträumen und Hoffnungen
      verändern über die Jahre das Bild der Erinnerung, und warum auch nicht, was vorbei ist, kann ja in der eigenen Phantasie unsterblich werden.
      Dem Wunsch nach einem Buch kann ich mich nur ( wieder mal) anschließen, du schreibst so lebendig und bunt und nimmst den Leser förmlich mit auf deine Reise, wohin auch immer. Und ein Buch kann man mitnehmen an den Strand oder ins Bett, wo man es ganz, ganz alleine für sich hat.

    • jan sagt:

      Hi ich weiss gar nicht ob es so passt denn zuerst wollte ich sagen, na gott sei dank endlich mal eine Frau die anständig fährt (schnell ), aber das andere darunter ist schon krass wenn man erfährt das seine Liebe gestorben ist :sad:

    • Miki sagt:

      Liebe Gesa, vielen Dank für deine schönen Worte. Obwohl alles schon so lange her ist, bin ich mit dem Artikel ein wenig in Traurigkeit versunken und es war ja auch sein Geburtstag. Schönes Gedicht.
      @web-newspaper @Marc
      schön, dass ich euch fesseln konnte..
      @Kaddi ja, leider agiert man in einer Situation manchmal verheerend falsch und bekommt nie die Möglichkeit zur Korrektur…hoffentlich lernt man wenigstens daraus…
      @mikmups @Tekima ich fürchte für ein Buch würde es nicht reichen, aber ich habe ja hier einen Ort gefunden, wo die Worte sprudeln dürfen…
      @Jan
      in der Story gehts ja auch drunter & drüber, nur dass das „3x geblitzt“ durch die folgenden Ereignisse in den Schatten gestellt wurde… hätte ja für mehrere Tage gereicht … :idea:

    • Arven (Michaela) sagt:

      Nun habe ich Gänsehaut…
      Wunderschön und sehr berührend.
      Und vor allem du hast das mit soviel Gefühl geschrieben man denkt man ist in deinem Herzen.

    • Rakaniaz sagt:

      Heftige Geschichte, die fast nicht wahr sein kann. Allerdings habe ich keinen Zweifel daran das Sie wahr ist so wie du geschrieben hast…

    • jan sagt:

      Interessant ist auch ob du den Bruder nachher noch mal gesprochen hast, oder ob das alles zu viel war für dich?

    • Miki sagt:

      @Michaela
      ja, mit dem Artikel hab ich euch sehr dicht an mich und mein Herz rangelassen…
      @Rakaniaz
      ja, wenn ich es nicht erlebt hätte, ich würd das auch nicht glauben wollen…
      @Jan
      nein, der Bruder hat sich zurückgezogen, ich hätte gern mehr erfahren. Ich denke, dass er Angst hatte, wenn ich zu viel erfahre, komme ich auch seiner Familie zu nahe und gefährde sie (ihn) damit, schließlich war er auf der Suche nach einem Seitensprung…. Ich hab aber die Handy-Nummer von damals noch, weiss natürlich nicht, ob man da noch bei ihm ankommt. Will ich auch nicht wissen, das Schicksal hat eben einfach dafür gesorgt, dass ich Wolfgang finde, wenn auch zu spät….

    • jan sagt:

      Hmm das ist natürlich schade auf eine Art, denn gerade wenn es der Bruder gewesen ist wäre aus den Seitensprung vielleicht mehr geworden, weil da passt ja vieles andere auch

    • Michaela sagt:

      Eine sehr berührende, traurige Geschichte, die soviele Fragen offen lässt.

      Und mich auch zurückschauen lässt. Ich habe mit 17 auch meinen Wolfgang (hieß sogar wirklich so) kennengelernt. Daraus hätte auch was ganz Großes werden können. Manchmal recherchiere ich auch und verfolge wehmütig die Spuren. Ich führe ja eine glückliche Beziehung … und träume manchmal trotzdem…

    • Miki sagt:

      @Michaela
      Eigentlich habe ich eingesehen gehabt, dass wir keine Zukunft als Paar haben. Als ich ihn nach 10 Jahren gesucht habe, war nicht mein Ziel, ihn als Partner zu bekommen. Aber unsere Begegnungen haben mich immer so tief berührt, wie es mir später nie wieder mit einem Mensch passiert ist. Mit 15 dachte ich, das ist halt immer so, wenn man sich verliebt. Ich wollte ihn irgendwann wiedersehen, um zu sehen, ob es immer noch so ist…so besonders. Aber das lässt sich schwer beschreiben.
      Auf jeden Fall hab ich ihn verpasst… recht knapp – das steht nicht im Artikel- als ich von seinem Tod erfahren habe, war er 15 Monate tot, gemessen an den Jahren finde ich das schon „knapp“….

    • Magrat sagt:

      Eine rührende, wehmütige Geschichte. Das Buch wurde einfach zugeklappt, das ist bitter… Eigentlich sollte man Bücher zu Ende lesen, egal ob Komödie, Tragödie, was auch immer…

      Ich selbst habe erlebt, wie es ist, wenn eine schier endlose Was-wäre-wenn-Geschichte plötzlich wahr wird. Es war nicht schön. Es war kurz. Ich schlug das Buch zu, das so lange offen herumgelegen hatte, und dann warf ich es weg.

      Heute bin ich glücklich darüber…

    • Miki sagt:

      @Magrat
      leider werde ich mir nun für immer vorwerfen, erst zu flüchtig und dann zu spät gesucht zu haben… und diesen Fehler kann ich nicht mehr rückgängig machen…aber vorwärts daraus lernen… :sorry:

    • jan sagt:

      @Miki du solltest dir da nichts vorwerfen, weil Fehler machen ist menschlich und wenn ich alle meine Fehler nicht gemacht hätte so würde ich manches schöne auch gar nicht erlebt haben

    • Miki sagt:

      @Jan
      ich finde da passt gut ein Spruch:
      „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es vorwärts.“

    • Ich bin froh, bis zum Ende gelesen zu haben.
      Es scheint mir, als sei das von Anbeginn eine für Dich schicksalhafte Verknüpfung zweier Seelen gewesen. Diese Geschichte klingt so unglaublich, dass ich es mir nur so erklären sollte.

      Vielleicht möchte Dir das Schicksal sagen: Greif zu, bei jeder Gelegenheit.

      Ich hoffe, Du kannst ihn eines Tages loslassen und das Kapitel beenden. Das Buch wird sich so schnell hoffentlich nicht schließen.

    • Miki sagt:

      @SSL
      Ich glaube ans Schicksal und vielleicht hat er mir seinen Bruder „geschickt“ um meine Suche zu beenden. Ein tröstlicher Gedanke, da ich dann wüsste, er hat die Brücke noch einmal zu mir geschlagen…denn er konnte wohl vorher nie ahnen, wieviel er mir bedeutet hat.
      Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, hab ich physisch wie psychisch völlig unnormal reagiert. Und von seinem Tod erfahre ich bei einem Blind Date in einer Millionenstadt.
      Als ich ihn noch suchte, war er in meinen Gedanken ein Mann… was immer wieder einige Phantasien genährt hat. Jetzt ist er das, was er wohl immer nur für mich sein sollte: eine verwandte Seele, die ich in diesem Leben verpasst habe…
      Mit 15 dachte ich halt, so fühlt sich verlieben an….

    • Alyeska sagt:

      Dazu kann ich nur 3 Sätze schreben, die mir mal irgendwo begenet sind:

      Jeder begegnet einmal dem Menschen seines Lebens. Doch nur wenige erkennen ihn rechtzeitig!

      Nichts gräbt eine Angelegenheit mehr in das Gedächtnis ein, als der Wunsch, sie zu vergessen.

      Der Zufall ist die Maske des Schicksals, wenn es nicht erkannt werden will.


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